Wirtschaftsnobelpreis 1976: Milton Friedman

Wirtschaftsnobelpreis 1976: Milton Friedman
Wirtschaftsnobelpreis 1976: Milton Friedman
 
Der Amerikaner wurde für seine Arbeiten in der Konsumanalyse, seine fundamentalen Beiträge zur monetären Geschichte und Theorie sowie zur Komplexität der Stabilisierungspolitik ausgezeichnet.
 
 
Milton Friedman * New York 31. 7. 1912; 1928-32 Rutgers University, 1933 Columbia University, 1934 University of Chicago, 1935-37 National Resources Committee in Washington D.C., 1937-40 National Bureau of Economic Research, 1941-43 U.S. Treasury Department, 1943-45 Columbia University, 1945-46 University of Minnesota, seit 1946 Tätigkeit an der University of Chicago, seit 1948 als Professor, 1977 Emeritierung.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Der Nobelpreis wurde im Jahr 1976 einem der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts zuerkannt. Milton Friedman gilt als Begründer des modernen Monetarismus. Seine theoretischen Arbeiten und praktischen Empfehlungen haben Eingang in die tägliche Politik praktisch aller Zentralbanken gefunden. Dieser Befund ist erstaunlich, da Friedman durchaus kontroverse Thesen vertritt. So betont er die Stabilität marktwirtschaftlicher Strukturen und die hohe Bedeutung individueller Freiheit. Insoweit steht er ganz in der Tradition der so genannten Chicagoer Schule.
 
 Frühe Forschungen
 
In seinen frühen Arbeiten widmet sich Friedman der empirischen Untersuchung zur Konsumfunktion (1957). In diesem Standardwerk stellt er fest, dass die Konsumausgaben privater Haushalte von ihrem permanenten Einkommen abhängig sind. Dieses permanente Einkommen speist sich aus Vermögen und laufendem Einkommen über die gesamte Lebenszeit. Daraus leitet Friedman ab, dass die Privatpersonen bei ihren Anlagen von Kapital in Sachgütern breit gefächerte Möglichkeiten nutzen, zwischen denen sie auf vielfältige Weise wechseln können. Sinkende Zinsen führen daher nicht zwangsläufig zu einem Mehr an privatem Verbrauch von Wirtschaftsgütern. Ebenso sind verstärkt Anlagen von Kapital in das individuelle Potenzial wie Bildung und Gesundheit denkbar. Friedman verwirft die Theorie des englischen Ökonomen John Maynard Keynes, wonach das laufende, absolute Einkommen für den Konsum der privaten Haushalte relevant sei. Nach seinen Hypothesen ist vielmehr das umfassende, permanente Einkommen bedeutsam. Kurzfristige Fluktuationen des laufenden Einkommens, etwa aufgrund einer Rezession, schlagen sich folglich nicht sofort und nicht in gleichem Ausmaß in rückgängigen Konsumausgaben und sinkenden Wachstumsraten der Volkswirtschaft nieder. Friedman kann daher vermuten, dass markteigene Strukturen eine höhere Stabilität zeigen, als es die keynesianische Theorie zur Rechtfertigung interventionistischer Maßnahmen unterstellt.
 
Friedmans weitere Arbeiten sind der Diskussion der keynesianischen Stabilisierungs- und Beschäftigungsthesen gewidmet. Er greift den von dem britischen Ökonomen Alban William Phillips empirisch ermittelten negativen Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosigkeit an. Die Phillipskurve (1958) propagiert einen Zielkonflikt zwischen diesen beiden Größen. Ein Weniger an Arbeitslosigkeit lässt sich demnach durch ein Mehr an Inflation erreichen. Die keynesianische Theorie schlägt vor, diesen Zielkonflikt zur Steigerung der Beschäftigung politisch zu nutzen. Dieser Auffassung hält Friedman entgegen, dass dafür Lohnillusion auf Seiten der Arbeiter vorauszusetzen ist. Ein steigendes Preisniveau aufgrund sinkender Arbeitslosigkeit führt zu einer Entwertung der Reallöhne. Dass die Beschäftigten dies dauerhaft akzeptieren, scheint wenig plausibel. Mittelfristig werden sie ihr Arbeitsangebot zurückführen, was die Arbeitslosigkeit wieder ansteigen lässt. Eine Variationsoption zwischen Inflationsrate und Unterbeschäftigung existiert damit bestenfalls in kurzer Frist. Durch eine adaptive, also aus Erfahrungen der Vergangenheit gewonnene Erwartungsbildung passen sich die Wirtschaftssubjekte an die geänderten Rahmendaten an. Nur soweit sie in ihren Handlungen überrascht werden, zeigen sich jene kurzfristigen Wirkungen, wie sie die Phillipskurve unterstellt. Nach Friedmans Überzeugung ist langfristig allein die »natürliche Rate« der Unterbeschäftigung relevant. Sie leitet sich aus nicht geldpolitischen (realen) Faktoren ab, wie etwa gesetzlich fixierten Starrheiten, der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes und den Anreizmechanismen. Ein dauerhaftes Unterschreiten der »natürlichen Rate« ist nur erreichbar, wenn die Marktteilnehmer fortgesetzt überrascht werden. Dafür sind jedoch ständig steigende Inflationsraten nötig. Dieses »Akzelerationstheorem« ist Friedmans zentraler Beitrag zur modernen Stabilisierungsdiskussion. Folglich gilt, dass ein Marktsystem in sich stabil ist und monetäre Faktoren langfristig ohne Bedeutung bleiben. Friedman illustrierte diese These mit dem geflügelten Wort vom »Helicopter Money«: Danach könne man auch mit einem Hubschrauber Geld über die Bürger abwerfen, alle verfügten über nominal mehr Geld, aber real hätte sich nichts verändert. So stiegen allein die Preise und das würde den Zuwachs an Geld wieder entwerten.
 
 Theoretiker des Monetarismus
 
In zwei maßgeblichen Aufsätzen »The Quantity Theory of Money: A Restatement« (englisch; die Quantitätstheorie des Geldes: eine neue Darstellung) und »The Role of Monetary Policy« (englisch; die Rolle der Geldmengenpolitk) skizzierte Friedman in den 1950er- und 1960er-Jahren das den modernen Monetarismus tragende Theoriegebäude. In früheren Aufsätzen vereint Friedman Gedanken der Quantitätstheorie des Geldes mit keynesianischen Elementen. Er entwickelt eine Theorie der Geldnachfrage, bei der wiederum das permanente Einkommen den maßgeblichen Bestimmungsfaktor darstellt. Spätere Arbeiten betonen die Rolle einer unabhängigen Notenbank, um entpolitisiertes Geld bereitzustellen. Ihre Handlungen werden durch strenge Regelbindung vorgezeichnet und nachvollziehbar. Die nur passive, langfristige und verstetigende Handhabung des geldpolitischen Instrumentariums bezieht sich auf eng abgegrenzte Geldmengen als primäre Steuerungsvariable. Eine stabile Geldversorgung verfestigt die Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer und löst damit weniger Schwankungen in der gesamten Wirtschaft aus. Nicht zuletzt hilft eine strenge Regelbindung, Steuerungsfehler auf Seiten der Notenbank zu vermeiden. Empirische Belege für seine steuerungsskeptische Grundhaltung findet Friedman in dem mit Anna Jacobson Schwartz erarbeiteten Buch »A monetary history of the USA, 1867-1960« (englisch; eine Geldgeschichte der USA, 1867-1960). Friedmans skeptische Haltung zur Rationalität technokratischer Steuerung zeigt, welchen geistigen Einfluss Friedrich August von Hayek (Nobelpreis 1974) auf Friedmans Schaffen hatte.
 
 Einfluss auf Politik und öffentliche Meinung
 
Neben den theoretischen Werken war Friedmans Arbeit der Beratung politischer Entscheidungsträger und der Information der Wähler gewidmet. In seinen Publikationen betonte er wiederholt die individuelle Freiheit und die Notwendigkeit, dies hohe Gut vor staatlichem Interventionismus zu schützen. Daneben veröffentlichte er regelmäßig in populären Zeitschriften, so zwischen 1966 und 1984 im »Newsweek«. Um eine breite Leserschaft zu erreichen, publizierte Friedman etwa auch im »Playboy«. In seinen Werken hat Friedman stets die Stabilität marktwirtschaftlicher Systeme unterstrichen. Staatliche Interventionen sind daher ebenso theoretisch wie empirisch fragwürdig. Diese Überzeugung durchzieht als Leitfaden sämtliche seiner Arbeiten. Friedman ist insoweit ganz politischer Ökonom — zumal einer von bemerkenswert aktueller Relevanz.
 
K.-U. May

Universal-Lexikon. 2012.

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